Für unseren Design and Innovation Award zog es uns in diesem Jahr erstmals nach Alta Badia in die Dolomiten. Eine prima Gelegenheit, Neues zu entdecken – Land, Leute und ein wenig auch uns selbst. Unser Autor durfte in diesem Panorama seine erste Graveltour er- und überleben – Klickies und Lycra inklusive.

Ein sandiger Pass windet sich durch hügelige Wiesenlandschaft, gesprenkelt mit Nadelbäumen. Im Hintergrund Alpenpanorama.

Es gibt Phasen im Leben, in denen wir gefühlt weniger wachsen. Stattdessen bewegen wir uns eher gemütlich in vertrauten Abläufen und Gewohnheiten. So gut und wichtig diese Phasen auch sind, irgendwann reicht es auch mal wieder. Plötzlich fühlt sich alles etwas träge und eintönig an – been there, done that. Alles gesehen. Zum Glück gibt es auch ganz andere Zeiten: Phasen, in denen alles in Bewegung gerät und die Karten neu gemischt werden. In solchen Phasen können wir – mit etwas Glück und Verstand – im wahrsten Sinne des Wortes neu sehen lernen. Und in genau solch einer Phase hat diese Story ihren Ursprung.

Auf in ein neues Abenteuer

Alta Badia, Dolomiten. Ein neuer Ort, ein neues Hotel und eine neue Perspektive. Einmal im Jahr rückt unser 41 Publishing-Verlagsteam mit etwa 20 Personen zu einer Tour de Force in die Dolomiten aus: Für den Design and Innovation Award testen wir die spannendsten neuen Bikes, Komponenten und Equipment. Selbstredend wird viel geradelt, getüftelt und gefachsimpelt – immer auf der Suche nach überzeugenden Innovationen eines jeden Jahres. Sieben Jahre lang hatten wir uns dafür in den Bergen um St. Vigil eingerichtet, die Pfade erkundet und die Gipfel erklommen, die uns irgendwann so vertraut waren, wie unsere Westentaschen. Doch diesmal ist alles anders.

Drei Männer graveln in Alta Badia vor einem Bergmassiv der Dolomiten.
Ein junger Mann bringt hockend eine Schaltung in Ordnung.
In der Hotelwerkstatt hilft uns Till noch schnell dabei, eine zickige Schaltung in den Griff zu kriegen, …
Die drei Männer wollen graveln in Alta Badia – zuvor gibt es einen Cappuccino vom Hotelmitarbeiter.
… um uns dann noch mit einem feinen Cappuccino in die Tour zu verabschieden. Grazie mille!
Eine Drohnenaufnahme zeigt die drei Gravelbiker senkrecht von oben auf einer grünen Wiese beim graveln in Alta Badia.
Gar nicht mal übel, so ein Perspektivwechsel.

Das Hotel Melodia del Bosco ist unsere neue Basis in Alta Badia. In den Sommermonaten ist es ein echtes Bike-Hotel, mit einer eigenen Werkstatt, Garage, einem Waschservice und feinem Essen: hausgemachte Riegel, gesunde Küche und typisch ladinische Spezialitäten. Hier spürt man die Verwurzelung in der ladinischen Kultur, die unter anderem in Schriftzügen überall im Haus präsent ist, so etwa auf den kleinen Magenzuckern, die sich als kleine Aufmerksamkeiten in den Zimmern finden: „Bëgnodüs” steht da – Willkommen.

Hotelbesitzer Klaus Irsara stimmt uns auf unsere Zeit hier mit ein paar Gedanken ein, die uns in den kommenden Tagen noch öfter beschäftigen werden: „Was du in den Bergen siehst, hängt von deinen Beinen und deinen Augen ab. Jedes Mal, wenn du unterwegs bist, ist es anders: Beine, Wetter … Es ist nie gleich. In den Bergen ist nicht alles 24/7 verfügbar.”

Die Herausforderung: Graveln mit den Pros

Unsere tägliche Routine beginnt früh. Die ersten Sonnenstrahlen tauchen die Dolomiten in ein sanftes Licht und wir bereiten uns auf die verschiedenen Testfahrten vor. Heute steht meine vielleicht größte Herausforderung dieser Reise an: Ich, eingefleischter Mountainbiker, habe mich zu einer Graveltour mit den Profis breitschlagen lassen. Ja, Gravel. Diese filigranen Dinger mit den dünnen Reifen und dem schnittigen Look, die irgendwo zwischen Rennrad und Geländegänger balancieren – beides, aber nichts davon so richtig.

Mein Nervositätslevel könnte kaum höher sein. Das Gravelbike, die Klickies, das enganliegende Lycra – alles neu für mich. Der Rest des Teams? Gnadenlos. Mit gespieltem Ernst klopfen sie mir auf die Schulter: „Wird schon – hast du jemanden, den wir anrufen sollen?” Ich verstehe: Die Inszenierung ist liebevoller Natur und soll mich letztlich auf die ‘gute Seite der Macht’ locken. Dennoch wird mir in Anbetracht des durchschnittlichen Oberschenkelumfangs etwas Bang ums Herz.

Einer der Männer mit einer gelben Weste erzählt wild gestikulierend eine Geschichte.
Redet hier jemand, wenn er nervös ist?
Der Fahrer in der gelben Weste fährt einen Trailabschnitt beim Graveln in Alta Badia vorweg.
Die großen Jungs lassen mich netterweise mal vorfahren – ich relaxe sichtlich.
Der Fahrer in der weißen Jacke und der Fahrer mit der gelben Weste sind von hinten abgebildet, während sie sich die arme auf die Schultern legend das Dolomitenpanorama ansehen.

Kneifender Bib-Short und vermutlich zum Hinterherhecheln verurteilt, stehe ich da, das unvertraute Gravelbike zwischen meinen Beinen. Zum Umkehren ist es zu spät und so denke ich mir: Na gut, dann sehen wir mal, was du zu bieten hast, du zierliches Etwas. Die Graveltour beginnt zu meinem Glück sonnig und entspannter als befürchtet mit einer Fahrt im Lift, da wir ja auf Erkundungstour sind. Neuland eben. Ich entspanne etwas.

Die Liftanlagen in Badia bringen uns zunächst zur Mittelstation, wo wir die Anfänge des Wildtier-Lehrpfads für Kinder namens „Tru di tiers” in Augenschein nehmen. Die dazugehörigen Motorsägenkunstwerke werden uns in diesen Bergen immer wieder begegnen, mit einem hölzernen Murmeltier schließen wir sogar eine innige Freundschaft. Weiter oben erreichen wir die Wallfahrtskirche Heiligkreuz, wo wir kurz innehalten. Eine Baulegende besagt, dass weiße Vögel blutbefleckte Holzspäne vom ursprünglich vorgesehenen Bauplatz an diese Stelle trugen und so den finalen Standort der Kirche bestimmten.

Die weiße Wallfahrtskirche Heiligkreuz vor dem Hintergrund des grauen Bergmassivs.
Die gefiederten „Bauherren” der Wallfahrtskirche Heiligkreuz hatten durchaus Sinn für eine starke Kulisse.
Ein hölzerner Wegweiser hilft bei der Orientierung beim Graveln in Alta Badia. Die drei Fahrer sitzen fröhlich im Lift, der sie zur Mittelstation hochbringt.

Doch die äußeren Bedingungen ändern sich kurze Zeit später. Rasch ziehen dichte Wolken auf, Regen setzt ein und bald kämpfen wir uns mal durch Schneefelder und mal durch Matsch. Die Natur hat ihren eigenen Kopf. Genau was Klaus uns im Hotel vorhergesagt hat: Man kann die Berge nicht konsumieren wie eine Ware. „In den Bergen musst du manchmal zurückgehen, weil Schnee liegt oder es nicht weitergeht. Das tut uns gut, weil es uns zeigt, dass nicht alles immer verfügbar ist.” Richtig, es läuft nicht immer alles nach Plan.

Als die Klickies einen der Gravel-Pros zu einem matschigen Rettungsmanöver zwingen, komme ich um einen winzigen Anflug von Schadenfreude nicht umhin. „Wird schon”, raune ich meinem Mitstreiter mit gespieltem Ernst im Vorbeifahren zu. Und so lachen und feixen wir, trotz mäßiger Wetterbedingungen und eines Platten, nahezu die gesamte Tour hindurch.

Der Fahrer mit der gelben Weste umarmt ein hölzernes Murmeltier vor dem Alpenpanorama.
Es war definitiv nicht leicht, Murmi zurückzulassen und wieder auf den Drahtesel zu steigen.
Bergziegen auf einer grünen Wiese vor einer dunkel gebeizten Hütte. Die drei Fahrer stehen in der Ferne auf einem Weg im Dreieck und besprechen sich. Im Hintergrund sind zunächst Bäume, in der Ferne dann das Bergpanorama zu sehen.

Lernen, neu zu sehen

Ich muss gestehen, der Charme des Gravelbikes beginnt mich zu packen. Nicht, weil es einfacher ist – ganz im Gegenteil –, sondern weil es dazu zwingt, mich anders zu bewegen, anders zu denken. Das passt doch irgendwie in diese Tage. Die Trails, die ich normalerweise in einer möglichst geraden Linie herunterschießen würde, wollen nun deutlich bewusster befahren werden. Gewissermaßen spiegelt auch das ein wenig die Gedanken von Klaus: die Welt sehen, als wäre es das erste Mal. Mit Staunen, mit offenen Augen und ohne die Vorannahme, dass man ohnehin schon weiß, was kommt.

Wir fahren ohne einem Menschen zu begegnen weiter durch atemberaubende Landschaften, vorbei an saftigen Almen, auf denen Kühe gemächlich grasen. Die Sonne kämpft sich immer mal wieder tapfer durch die Wolken und taucht das Massiv in ein magisches, gelb-rötliches Licht. Dass ich dabei zunächst unweigerlich an den Standardhintergrund eines hier nicht näher genannten Computer-Betriebssystems denken muss, ist zumindest bedenklich. Höchste Zeit, wieder mal neu hinzusehen. Dabei hilft mir die Gegend: Hier finden sich nicht die überpräsenten Katalog-Ikonen der Dolomiten, dafür aber nicht minder beeindruckende Landschaften ohne die sonst üblichen Menschenmassen. Vielleicht hilft das auch beim Sehen lernen: die unberührten, weniger bekannten Ecken auszuleuchten.

Die Drei Gravel-Biker tragen ihre Bikes über Steine durch einen kleinen Bach beim Graveln in Alta Badia.
Ein Kruzifix mit der Inschrift "Inri". Vom Körper Jesu sind nur Hände, Füße und einige Organe gearbeitet. Statt des restlichen Körpers sind biblische Symbole wie Würfel, Speere und ein Schwamm abgebildet. Bergpanorama. Links große Nadelbäume.

Nach einigen Stunden Graveln spüre ich die Erschöpfung, aber auch eine tiefe Zufriedenheit. Es geht nicht nur darum, Kilometer zu machen, sondern die Reise als Ganzes zu erleben – die Anstrengung, die Natur, die Gemeinschaft. Die Tour führt uns durch Abschnitte, die uns überraschen: Mal ein unerwarteter Blick auf die Gipfel, ein andermal runzeln wir etwas irritiert die Stirn vor einem Kruzifix ohne Jesu-Körper, dafür aber mit einigen seiner Organe. Immer wieder legen wir kurze Stopps ein, um die Atmosphäre aufzusaugen und einfach den Moment zu genießen – und ausgiebig herumzualbern.

„Wir kommen wieder, nach Al-ta Ba-d-ia” [Stadionhymne off]

Der Fahrer mit der blauen Jacke legt dem Fahrer mit der gelben Weste eine Hand auf die Schulter. Der Fahrer mit der weißen Jacke beobachtet die Szene freundlich.
Ritterschlag – Sir Gravel von Alta Badia!

Am Abend sitzen wir im Team im Hotel zusammen. Das Schöne an diesen Tagen ist, dass jeder seine eigenen Herausforderungen gefunden hat und doch alle das gemeinsame Erlebnis teilen können. Wir tauschen uns aus, lachen über die Erlebnisse des Tages und feiern die kleinen und großen Siege. Es ist genau diese Mischung aus Anstrengung, Abenteuer und Gemeinschaft, die unsere Zeit hier in Alta Badia so besonders macht. Die Sauna schaffen wir heute nicht mehr. Dafür hat uns der Chefkoch ein herrliches Menü mit vielen ladinischen Leckereien zubereitet, die unsere Energiereserven wieder auffüllen – es ist die perfekte Art, den Tag ausklingen zu lassen.

Alta Badia hat uns nicht nur neue Pfade gezeigt – ja, Graveln ist auch richtig geil, ich schreib’s ja schon rein! –, sondern an etwas Wesentliches erinnert: Die Berge und Landschaften sind immer anders. Deswegen kann jede Strecke, jeder Ort und jeder Moment einzigartig sein, wenn wir ihn mit frischen Augen sehen. In diesem Jahr ging es neben den Produkttests auch ganz besonders darum, die Region zu entdecken, die Augen offenzuhalten und alles in uns aufzusaugen. Was wir dabei bislang sehen durften, war schlicht und einfach großartig. Wir haben richtig Bock auf die kommenden Jahre!

Die drei Gravel-Biker fahren einen Weg empor, im Hintergrund grüne Hügel und schließlich ein steiles Bergmassiv.

Words: Jonny Grapentin Photos: Jan Richter