Der Sellaronda-Mythos! Für viele ist die Umrundung des Sellamassivs mit dem Bike das ultimative Dolomiten-Abenteuer und ein Bucket-List-Highlight mit epischen Trails sowie Panorama. Support gibts von zahlreichen Liften und Gondeln. Doch was, wenn wir nur einen Teil fahren und die Lifte links liegen lassen? Nur wir, unsere E-MTBs und der Berg. Klingt spannend? Das ist es!

Was habt ihr auf eurer Bucket-List der epischen Touren? Manche träumen davon, einmal im MTB-Mekka Whistler in Kanada Trails zu shredden, andere wollen die Hänge von Madeira bezwingen oder durch das sagenumwobene Atlasgebirge in Marokko brettern. Und dann gibt es noch diejenigen, die einfach nur den perfekten Trail finden wollen, um das ultimative Freiheitsgefühl zu erleben. Ganz oben auf der Liste vieler sportlicher Naturliebhaber steht auch die Sellaronda, die Umrundung des Sellamassivs im Herzen der Dolomiten – im Sommer beliebt bei Roadies und MTB-lern, im Winter bei Ski- sowie Snowboardfahrern.
56 bis 60 km und bis zu 4.000 Hm zählt die MTB-Runde, davon sind je nach Routenvariante 330 bis 1.020 Hm selbst zu fahren. Der Rest? Den übernimmt das großzügig ausgebaute Lift- und Gondelnetz rund ums UNESCO-Weltnaturerbe. Die 14 Bergbahnen sind so verteilt, dass sie die vier Hauptpässe der Runde – das Grödnerjoch, den Campolongo-Pass, das Pordoijoch und das Sellajoch – verbinden und nahtlose Übergänge zu den jeweiligen Trailabschnitten schaffen. Die Lifte erleichtern die Tour enorm – großartig für alle, die einfach mal in die Bergwelt eintauchen wollen, ohne sich zu sehr zu verausgaben.
Und wir? Vor der atemberaubenden Kulisse von Langkofel (italienisch: Sassolungo) und Sellagruppe wollen wir heute unser ganz persönliches Sella-Erlebnis schaffen. Unser Vorhaben: Auf der Sellaronda mal ganz ohne Lift auskommen und schauen, wie weit unsere E-MTBs uns tragen. Wird das klappen? Wir werden es sehen. Aber genau diese Ungewissheit macht uns Bock, es einfach mal auszuprobieren. Dolomiten, wir kommen!


Welche Sellaronda-Route darf es für euch sein? – Uhr, Skills und Fitness entscheiden
Ihr träumt davon, die Sellaronda zu fahren, wisst aber noch nicht genau, wie ihr es angehen sollt? Die verschiedenen Routen bieten für jeden die passende Herausforderung. Neben der vollständigen Umrundung des Sellamassivs kann man in Halbtagesrouten sogar auch nur die Hälfte umfahren. Diese Variante bietet sich besonders für Fahrer an, die später starten oder die Tour in einem entspannten Tempo angehen möchten. Wer das Sellamassiv aber komplett umrunden will, kann zwischen zwei Routen wählen – im Uhrzeigersinn oder dagegen, beides ist gut ausgeschildert und in zahlreichen Komoot-Touren bereits für euch vorgeplant. Die Entscheidung sollte abhängig von Fitnesslevel, Skills und verfügbarer Zeit getroffen werden, beide Varianten bieten aber auf jeden Fall spektakuläre Ausblicke auf die Dolomiten, darunter den Marmolada-Gletscher und den Sellapass.
Zählt ihr euch zu den Anfängern, solltet ihr eher im Uhrzeigersinn fahren, weil das die Richtung mit den einfacheren Abfahrten ist. Sicher im Umgang mit Bremsen und Schaltung müsst ihr aber in jedem Fall sein, da beide Routen der Sellaronda einige Singletrails und Abfahrten beinhalten. Bei Unsicherheiten können aber auch lokale Anbieter oder Guides aushelfen. Seid ihr hingegen erfahrenere Rider, seid ihr durch nichts eingeschränkt – außer vielleicht der Größe eures Akkus. Es empfiehlt sich auch bei der Sellaronda, die Lademöglichkeiten für eure E-Bikes entlang der gesamten Strecke bei der Planung zu berücksichtigen. Davon gibt es aber einige, zum Beispiel in Wolkenstein, Arabba, Canazei oder Corvara.
Im Uhrzeigersinn:
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Gegen den Uhrzeigersinn:
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Wir selbst wollen die grandiose Landschaft mit E-Bike, aber eben ohne Support von Lift und Gondel erleben und hinterher wieder nach Alta Badia zu unserem MTB-freundlichen Hotel Melodia del Bosco rollen. Auf Komoot haben wir uns eine der vorgeplanten Halbtagestouren ausgesucht, voller landschaftlicher Highlights, auf die wir total gespannt sind: Die mystische Città dei Sassi (Stadt der Steine), beeindruckende Ausblicke auf dem Weg über Plan de Gralba nach Wolkenstein und die spektakuläre Lage der Jausenstation Jimmy Hütte am Fuße der mächtigen Dolomiten. Von dort geht es weiter nach Corvara, immer entlang an einigen der schönsten Trails der Region. Off we go!



Sellaronda Tourstart in der Stadt der Steine
Unsere Tour beginnt am Sellajoch (Passo Sella), eine halbe Autostunde von unserer Homebase in Alta Badia entfernt. Wir starten bei einem Sonne-Wolken-Mix und 16 °C – was will man mehr im Spätherbst! Nach den ersten Metern hat uns das Joch schon in seinen Bann gezogen: Ein gewundener Wanderweg am Fuß des Langkofel führt uns durch die mystisch anmutende Stadt der Steine. Wir sind gefesselt vom grandiosen Anblick der großen und kleinen Felsblöcke, die wie von Riesenhand in der Landschaft verstreut scheinen. Weiße Minigondeln ziehen sich wie Perlen an einer Schnur den Berg hinauf und verschwinden zwischen den Zacken des gewaltigen Sassolungo.
Kaum über die erste Kuppe gefahren, erwartet uns schon ein fein geshapter Trail, der sich inmitten von mondähnlichen Geröllfeldern den Berg hinabschlängelt – yay, wir haben richtig Lust, vor der atemberaubenden Kulisse des Sassolungo unseren Bremsen freien Lauf zu lassen! Dass wir uns auf 2.200 m über dem Meeresspiegel befinden, macht sich bemerkbar, als wir Bekanntschaft mit den ersten Schneefeldern der Herbstsaison machen, die sich in die Trails schmiegen. Kurz ist zwar mal Schieben angesagt, aber macht nichts, wir sind ja noch ganz frisch und ein Stück weiter unten sind die Schneeberge eh schon geschmolzen. Und irgendwie ist es auch lustig, ein paar Meter durch das erste Weiß des Jahres zu waten. Und mal im Ernst: Was erwarten wir auf 2.200 m Höhe im Herbst und in diesem Gebiet?



Wir erreichen die Baumgrenze und wenig später den kleinen Bikepark Sassolungo, einen Teil in der Trail Arena Val Gardena, wo man auf insgesamt 13,9 km Trails in verschiedenen Schwierigkeitsstufen vorfindet. Am Eingang des Sassolungo-Bikeparks stehen uns die Family Line und die flowige Easy Jump Line zur Auswahl. Die 2,2 km des Easy Jump Trails nehmen wir gern mit, sie winden sich 200 Höhenmeter hinab nach Plan de Gralba und erweisen sich als sehr nette Jumpline für Einsteiger, aber auch für Fortgeschrittene. Check im Hinterkopf: Der nächste Familienausflug ist geritzt! Felsenklettern in der Stadt der Steine und dann unter sagenhafter Kulisse die Traillandschaft erobern! Das dann aber mit Seilbahn und Lift.

Zwischen Lamborghini-Touris und Roadbikern rauf auf den Pass
Ja, genau … Heute wollen wir die Lifte ja mal außen vor lassen. Unser Blick fällt auf den Asphalt der Passstraße hoch in Richtung Grödner Joch. Wollen wir mal die Strecke testen, die sonst erklärtes Terrain von Roadies und Motorradfahrern ist? Um etwas Würde gegenüber den überwiegend unmotorisierten Rennradfahrern zu behalten, treten wir unsere persönliche Challenge an: die Serpentinen mit möglichst wenig Motorunterstützung zu bezwingen. Die ersten paar dutzend Höhenmeter von Plan de Gralba aus geht das auch noch gut. Unsere E-Bikes surren leise, als wir an den steil abfallenden Hängen der Dolomiten vorbeiziehen, den herbstlichen Duft der Lärchen in der Nase, deren Nadeln sich schon langsam gelb färben. Doch die Passstraße zieht sich und die Beine werden müder.
Da kommt aber auch schon die willkommene Ablenkung: Wir werden von einem Konvoi von Leih-Lamborghinis überholt, allesamt von fernöstlich aussehenden Herren gesteuert. Offenbar haben sie eine der Luxustouren durch die Dolomiten gebucht, die zahlungskräftigen Touris angeboten werden. Zufrieden, dass wir nicht die einzigen motorisierten Touristen sind, die die grandiose Kulisse des Sellamassivs zu schätzen wissen, hängen wir uns an die Sonntagsfahrer dran. Und schalten diskret eine Unterstützungsstufe höher. Bald schon zweigen wir aber auf eine Teilstrecke der Sella-MTB-Route ab, rauf in Richtung Grödner Joch, und verlangen auf technischen Uphillpassagen unseren Motoren und Beinen nochmal einiges ab.

Spätestens jetzt sind die Energiebalken auf dem Display und im Körper schon merklich geschwunden. Auch die Außentemperatur sinkt gefühlt mit jedem Höhenmeter und proportional dazu steigt unsere Vorfreude auf Rast bei einer warmen Mahlzeit in der Jausenstation, der Jimmy Hütte. Die hätten wir mit der Florianbahn übrigens ohne jegliche Anstrengung erreichen können. Doch der hart erarbeitete Kaiserschmarrn ist der, der am allerbesten schmeckt, oder?



Kaum sitzen wir wieder auf den Bikes, packt uns der phänomenale Anblick von Neuem: schroffe Berggipfel aus Juragestein, so typisch für die Dolomiten, darunter Wiesen und Wälder, durch die sich Trails und Wanderwege schlängeln. Sonnenklar, warum die Sellaronda sowohl für Sommer- als auch Wintersportler ein derartiger Magnet ist. Die verbleibenden Höhenmeter hauen wir jetzt noch auf dem letzten Akkubalken raus und segeln dann gemütlich ins Tal hinab. Auf nach Alta Badia, wo die Temperaturen wärmer sind und die Gastfreundschaft nicht minder groß ist als in der Jimmy Hütte. Wir bilanzieren: In gut zwei Stunden reiner Fahrzeit und 736 getretenen Höhenmetern haben wir die Hälfte des Sellamassivs umrundet und blicken zurück auf 33 km grandioses Landschaftserlebnis – und sind dank E-Bikes nicht mal wirklich kaputt.

Unsere Erkenntnis: Auch ohne Lift und Gondel ist die Sellaronda-Tour dank E-Bike und Komoot für diejenigen gut machbar, die sich nicht zu den Extrembikern und Profi-Tourenplanern zählen. Geboten werden flowige Trails vor den epischen Kulissen der Dolomiten – wir sind angefixt und kommen safe nächstes Jahr wieder. Dann wird aus der „Halbaronda“ aber auf jeden Fall die ganze Sellaronda und der nächste Punkt auf unserer Bucket List bekommt einen Haken! Wir können es jetzt schon kaum erwarten.
Weitere Infos zur Sellaronda und anderen Freizeitaktivitäten in der Region findet ihr beim Tourismusverband Alta Badia.
Words: Felicia Nastal Photos: Peter Walker