ACHTUNG: Gleich wird es dreckig und feucht, emotional und teuer, steil und flach, lecker und auch stellenweise lustig. Die Dolomiten, Schnee, Regen und 32 % Steigung geben die Kulisse und später im Text wird sich jemand übergeben. Wer das liest, ist am Ende ein Stück weiser und hoffentlich schneller beim UNO.

Beim Design & Innovation Award suchen wir die herausragendsten Bike-Produkte der kommenden Saison. Wir checken Trends der Fahrrad-Industrie und entlarven leere Marketing-Versprechen. Inmitten unserer intensiven Test-Tage war die Crew fällig für einen kurzen Break! Es war an der Zeit, uns einmal selbst wortwörtlich auf Herz & Leber zu testen. Man könnte es als Teambuilding bezeichnen oder einfach als kurioses Experiment, um die Liebe zum Zweirad zu zelebrieren. Die Idee: Overnighter auf einer Hütte mit 14 unterschiedlichsten Typen (und einem Mädel!), auf 14 unterschiedlichen Bikes.

Wo fängt man an, wo hört man auf?

Auf die erste Frage, wo man anfängt, gibt es eine ganz einfache Antwort: Am Excelsior Dolomites Life Resort in St. Vigil. Das Sporthotel, das schon seit Jahren unser Basecamp für den Design & Innovation Award ist, liegt im Pederü-Tal in Südtirol. Infinity-Rooftop-Pool, Saunalandschaften, eine hervorragende Küche und Zimmer, die mit Blick auf die Dolomiten die richtige Mischung aus zurückhaltender Eleganz und Gemütlichkeit treffen, sind nur ein paar der guten Gründe, warum wir immer wieder hierher finden.
Auf die Frage, wo man aufhört, gibt es ebenfalls eine einfache sowie eine komplizierte Antwort.
Einfach: Ücia de Fodara Vedla-Hütte auf 1980 m. Zur komplizierten Antwort kommen wir später.

Anfangs war es noch lustig

Die Zeichen standen gestern noch auf Kaiserwetter, seit heute morgen jedoch auf Weltuntergang. Eigentlich waren wir, motiviert für unsere Hüttentour, nüchtern und früh ins Bett gegangen. Die aktuelle Lage zeichnet allerdings Fragezeichen in unsere Gesichter. Samt Bikes, Rucksack und im Sportmodus uniformiert, reihen wir uns trotzdem vor der Hotelgarage zum Gruppenfoto auf! Klick. Wir machen gute Miene zum bösen Spiel. Obwohl … lustig kann es ja noch werden. Downhill-Worldcup-Robin sitzt auf einem E-MTB-Tiefeinsteiger, daneben Enduro-Juli und Whistler-Peter auf einem Gravel Bike. Der Rest nimmt das, was auf der steilen Uphill-Gravel- sowie teils ruppigen Downhill-Strecke Wettbewerbsvorteile verspricht. Alles ist erlaubt. All in! Ein bunter Mix aus unterschiedlichsten Bikes rollt gemeinsam los. (R)auf geht’s!

Gemeinsam gegen alle!

Hier im Pederü-Tal überquert man normalerweise unzählige malerische Bäche, rollt entlang smaragdfarbener Seen und wirft lange Schatten. Heute sind es Stromschnellen auf der Asphaltstraße und Gegenwinde, die einen rückwärts rollen lassen. Beschlagene Brillen werden nach wenigen Minuten abgenommen, Handschuhe angezogen und Regenjacken ausgerollt. Unsere Flachwitze auf der Geraden verlieren sich Meter für Meter im Prasseln des Regens, während sich Serpentinen wie in Comics viel zu unrealistisch steil empor schlängeln, weitere Wolken aufziehen und teilweise schon die Beine zu machen. Selbst die meisten E-Bikes lassen bei dieser Steigung die Vorderräder tanzen. Diese Team-Building-Experience artet bereits jetzt zu einem internen Rennen aus. Natürlich sind wir übermotiviert gestartet und haben das Tempo absichtlich oberhalb der 25 km/h gehalten, um die E-Biker dumm in die Pedale treten zu lassen. Klar haben wir Kurven gefrenchlined, und selbstverständlich haben wir schon jetzt viel zu viele Körner auf unnötigen, aber dafür lustigen Überholmanövern gelassen. Doch eines haben wir zu diesem Zeitpunkt noch in Hülle und Fülle: Humor und schlechte Gags.

Genau an der Stelle, wo die Gravel-Bikes bei exakt (!) 31 % Steigung mehr als am Limit sind, schaut uns Jesus am Kreuze hängend beim Leiden zu!

Was dann passiert, würde so manchen zu Tränen rühren, wäre es noch mit emotionaler Filmmusik untermalt. Vereinzelnd fangen wir an, uns gegenseitig anzuschieben. Wortlos pushen die E-Biker samt Seitentaschen die Roadies sowie Hardtail-Fahrer durch den Regen die Steigung hinauf. Dramen spielen sich ab. Platte Reifen, kein Wasser, Akku leer. Es sollte verfilmt werden. Wenn es mal steil wird, halten wir zusammen. Fast schon eine Metapher für den Teamspirit: kompetitiv, aber stets kollegial. Bei einigen weiß ich jetzt nicht mehr, ob es Tränen oder der Regen sind, die von der Nasenspitze tropfen. Ein Untenrum-Witz holt jedoch die Situation wieder aufs Wesentliche herunter. Das Lachen macht den Anstieg noch schwieriger, aber erträglicher. Das Kurbeln wird bei den Nicht-E-Unterstützten zum Mantra.

Nach dem Anstieg kommt der Absturz!

Oben angekommen, rollen wir wortlos frierend und erschöpft in Richtung Hütte Fodara Vedla. Die letzte kurze Steigung bewältigt jeder stumm für sich alleine. Hier und da wird die Stille von quietschenden Bremsen und dem Klatschen der High-Fives unterbrochen. Angekommen! Keiner macht mehr Witze, denn der Anstieg, der jetzt endlich hinter uns liegt, hatte es in sich.
Die ersten Gesprächsfetzen starten erst wieder, nachdem man sich im Heizungskeller der Hütte seiner durchnässten Kleidung entledigt hat. Der Raum gleicht einer Fussballer-Kabine. Es stinkt, Schuhe liegen abgestreift auf dem Boden verteilt, Socken über Socken, und wir stützen uns auf unseren Knien ab. Ein Anblick für die Götter.

Halbzeit

Die frisch renovierten Zirbenholz-Zimmer riechen besser als jede Sauna, bis wir unsere Socken über die Heizung legen! Kurz geduscht und ab nach unten. Wir finden uns im Restaurant der Hütte Fodara Vedla ein. Die Bestellung lautet: „Erst Glühwein, dann Bier!“ Es folgt ein wortkarges Vernichten dreier Wurstplatten. Den zwei Veganen unter uns bleibt nur noch der Salat und die Gurkenscheiben, dann trudeln zum zweiten Mal 14 Halbe ein. Dieses Mal sind es 14 Bier. UNO-Karten kommen auf den Tisch. Das Spiel muss nicht erklärt werden, nur eine bestimmte neue Regel wird festgelegt. Wird eine 9 gelegt, muss jeder, so schnell es geht, die Hand drauflegen. Derjenige, der als letztes die Hand auf den Stapel legt, muss einen Kurzen (Mugo) trinken. Es folgen mehrere Runden, die nur von einem schnellen, aber köstlichen Abendessen unterbrochen werden.
Schnell finden wir unsere 2–3 Opfer des Abends, denen es von Mugo zu Mugo immer schwerer fällt, ihre Hand pünktlich auf die 9 zu legen. Der Bluetooth-Speaker spielt die Soundtracks des Abends, Hände knallen auf den Tisch, die Strapazen des Tages werden hier nun vollends vergessen.

Wir entschuldigen uns an dieser Stelle für alle Wanderer auf der Hütte, die wir in dieser Nacht um ihren Schlaf gebracht haben und die die Geräuschkulisse aus „UNO!!!“, Gelächter, Tisch-Hämmern und klirrenden Gläsern aushalten mussten.

Nun kurz zur komplizierten Antwort, meiner eingangs gestellten Frage: Nach wie vielen Mugo-Shots und UNO-Flops sollte man sich eingestehen, dass man „verloren“ hat. Felix! Oh sorry, ich sollte keine Namen nennen!
Den Zeitpunkt aufzuhören, haben wir nun alle schon lange verpasst. Alles wird mehr: das Bier, die Kurzen, die verpassten 9er, die schlechten Witze, die Freude, das Gegröle. Während draußen der Regen zu Schnee wird, werden drinnen aus Männern Jungs. Isi, die einzige Frau an diesem Abend, kann da nur schmunzeln.

Einzigartige Momente entstehen ohne Vorhersage

Eine größere Überraschung hätte es fast nicht geben können: Ungläubig starren wir vom Bett aus den Fenstern – was gestern noch eine verregnet-vernebelte Landschaft war, ist heute Winterwonderland im strahlenden Sonnenaufgang. Real Talk: Bei dem gestrigen Wetter wären die meisten zu Hause geblieben und auch wir waren am Hadern. Hätten wir es nicht fest ausgemacht und hätten wir nicht einige lautstarke Optimisten im Team, wir wären zu Hause im komfortablen 5-Sterne-Excelsior Dolomites Life Resort im Tal geblieben. Der Hüttenwirt bringt es auf den Punkt: Manchmal muss man sich in Widrigkeiten stürzen, um einzigartige Momente zu erleben. Gerade in Zeiten, in denen alle immer ins Smartphone glotzen und sich mit Vorhersagen für alles und jeden absichern wollen, werden Momente wie diese immer mehr zur Rarität. Das ist manchmal natürlich riskant, aber bietet dafür auch große Gewinnchancen. Und ein Großteil des Teams hat es gewagt – und wurde belohnt. Nicht nur mit einem unvergesslichen Hüttenabend, sondern jetzt auch mit diesem einmaligen Anblick!

Brüderlich (und ein wenig schwesterlich) liegen wir nach einem revitalisierenden Frühstück noch mit mehreren Kollegen zusammen in den Federn, diskutieren über den Abend und lamentieren über das Leben. Nachdem sich nun auch die letzte Aspirin im Glas aufgelöst hat und die Rechnung des Abends von über 100 Mugos bezahlt wurde, geht es aber zurück aufs Bike. Wir atmen Wolken in die Luft und blinzeln in die Sonne. Auf den ersten Metern fühlen wir uns rostig, stöhnen und lassen uns von der Schwerkraft den Berg hinunterschieben.

Enduro-Juli im Schotterdrift mit dem neuen Specialized Diverge STR.

Ab hier geht’s jetzt nur noch bergab.

Im Train rollen wir in den Kopfschmerzen vereint gen Tal, fangen an, um die Serpentinen zu driften und riskieren wieder einmal fragwürdige Überholmanöver. Trotz gestriger Strapazen und einem Kater, den wir von der Hütte mitbringen, schaffen wir es, die Abfahrt zu genießen. Dort, wo uns der Berg gestern zusammen geschweißt hat, liefern wir uns heute wieder ein Rennen. Dieses Mal nur in die andere Richtung! Egal, ob Gravel-Bike, MTB, E-MTB oder Tiefeinsteiger, wir alle haben ein Grinsen von einem Ohr zum anderen.

Zurück zum Anfang: Hier, wo gestern alles anfing, finden wir uns abklatschend zum Ende ein. Wir liegen uns erleichtert vor dem Hoteleingang in den Armen und waschen die Bikes gemeinsam ab. Keine 24 Stunden – dieser kurze Ausflug hat unser Team zusammengeschweißt. Wir kennen jetzt unser Limit, und das der Kollegen auch. Außerdem wissen wir nun, dass es fast egal ist, welches Bike man mit zur Tour bringt, solange man die richtige Crew um sich hat. Alles geht – nichts muss. Und wenn jeder mitmacht, dann wird es unvergesslich (gut).

UNO!!!


Words: Julian Lemme Photos: Robin Schmitt, Julian Lemme